Die Dynamische Meditation, Teil II

von Anando Würzburger

Spielerisch und entspannt sein – die Voraussetzung für Meditation. Mit dieser Einstellung kann nichts schiefgehen. Das Entspanntsein stellt sicher, dass wir uns nicht zwingen und über die Grenzen unserer Möglichkeiten hinausgehen. Das Spie­lerischsein ermöglicht uns, langsam in die Freiheit, natürliche Lebendigkeit und emotionale Gesundheit hineinzuwachsen – lauter Eigenschaften, die wir mithilfe von Meditation wiederentdecken können.

Bleib wachsam und geerdet

Nimm in dieser Phase alles wahr, was im Körper geschieht. Wachsamkeit wird oft missverstanden, so als nähme man Abstand vom Körper. Es kommt bei aller Bewusstheit darauf an, in Tuchfühlung mit seinem Körper zu bleiben. Sonst könnte es passieren, dass man aufgrund traumatischer Erfahrungen das Verhaltensmuster „den Körper verlassen“ wiederholt.

Meiner Erfahrung nach ist vielen damit geholfen, sich durch die Beine und Füße ihre Verbindung zum Boden bewusst zu machen. In einem Trauma – auch einem wiedererlebten – strömt alle Energie und Bewusstheit nach oben und aus dem Körper hinaus. Indem wir geerdet bleiben, stellen wir sicher, dass wir unser System nicht überfordern (und damit in vergangene Erfahrungen zurückverfallen, denen wir nicht gewachsen sind).

Wir dürfen die Fähigkeit des Körpers zum Auf- und Ent­laden nur langsam ausweiten. Auf die Art erweitern wir langsam unsere Widerstands­kräfte und lassen alles Einengende und Unausgewogene in unserm Organismus hinter uns. Das Einatmen geschieht von allein – wenn wir ihm Zeit dazu lassen.

Unterstütze das Atmen mithilfe deiner natürlichen Körperbewegungen. Am einfachsten und leichtesten für die Ge­lenke ist es, wenn du im Rahmen deiner natürlichen und gesunden Grenzen bleibst. Zu körperlichem Schmerz kommt es immer nur dann, wenn du dich selbst verletzt.

Den Körper achten und lieben

Wenn du die Dynamische machst, wird dir vielleicht etwas klar, was du noch nie bemerkt hattest, nämlich dass du so mit deinem Körper umgegangen bist, wie früher die Mönche, wenn sie versuchten, sich „die bösen Geister“ auszutreiben – womit sie alles Unterdrückte meinten. Unser Körper verrät, wie wir zu uns und unserm Körper stehen. Nimm das, was du beim Meditieren empfindest, als Spiegel. Sei achtsam und lerne, eine respektvolle und liebevolle Hal­tung einzunehmen. Das ist ein großer Schritt zur Heilung. So blüht die Meditation zur Freude darüber auf, lebendig zu sein.

Die zweite Phase:

Drück alles aus, was rausgeworfen gehört. Die Dynamische Meditation öffnet viele Möglichkeiten, aber es sollte organisch geschehen, also deinem Körper und jetzigen individuellen Entwicklungsstand entsprechen. Die Meditation kann dich zu automatischen Wiederholungen alter Enttäu­schungen und Verzweiflungen führen. Man muss den Dreh erlernen, den innewohnenden Heilkräften des Körpers zu folgen.

Eine der Nachwirkungen traumatischer Er­fahrung ist die Zersplitterung. Wir trennen uns von der Erinnerung und ihren Gefühlen und von denjenigen Stellen im Körper, wo die Energie zurückgehalten wird. Wenn wir kleine Schritte tun, können wir wieder aus dieser Zersplitterung herausfinden. Wer sich selber antreibt, kann seine eigenen Grenzen verletzen. Wer mit spielerischer Neugier seinen Gefühlen und Bewegungen nachspürt, und das „wie möglich“ im Auge behält, wird sehen, wie die zweite Phase langsam alles Zersplitterte und Dissoziierte wieder zusammenführt.

Sie weckt unsere Kräfte und hilft uns, wieder mit unserer Stärke in Kontakt zu kommen. Daher ist es wichtig, Oshos Anleitung zu befolgen, stets in Bewegung zu bleiben und die Bewegung zu erkunden. Dadurch wird vermieden, dass wir wieder in Reak­tion gehen und erneut körperlich gefrieren, also uns re-traumatisieren. Stattdessen wird uns die ganze Palette emotionalen Ausdrucks wiedergeschenkt und befreit die Hemmung, die ungelöste Trauma-Energie in unserm Nervensystem eingesperrt hält.

In der Dynamischen Meditation arbeiten wir mit zwei Polen: Einerseits befreien wir durch Gefühlsausdruck unseren Körper und andererseits zentrieren wir uns. Die zentrierende Wirkung von Medition beruht darauf – wie Hüther es in seiner Reihe „Gehirn und Geist“ (Brain and Mind) im Kapitel über Meditation ausdrückt –, dass der Frontalcortex die Amygdala (den Mandelkern) anweist, sich nicht aufzuregen und ruhig zu bleiben. Die Amygdala ist der Bereich unserer Erbanlagen, der uns sagt, wann Gefahr droht.

Ein Hinweis auf Restbestände eines körper­lichen Traumas ist eine überreagierende Amygdala, die übertriebene Warnungen aussendet, z.B. wenn in der Umgebung ein bestimmter Ton auftaucht. Hüther verweist auf ein jüngeres Experiment, bei dem diejenigen Studen­ten, die als Testpersonen eine Woche lang meditiert hatten, weniger schreckhaft waren und mehr ihre Ruhe bewahrten, wenn sie vor der Klasse an der Tafel mathematische Gleichungen demonstrierten, als die Studenten ohne Medita­tionserfahrung.

Zentrieren können wir uns nur in Medi­tation, wo wir es üben, zu beobachten ohne zu handeln, egal, was für ein Tun uns der Verstand gerade vorschlagen mag – wir bleiben sitzen und beobachten „nur“. Anfangs fällt uns dieser „Akt“ zwar schwer, und in bestimmten Hirnbereichen löst er mehr Aktivität aus. Später aber mit etwas Übung verringert sich die Gehirnaktivität nachweislich – nämlich dann, wie Hüther sich ausdrückt, „sobald diese Kunst beherrscht wird.“ Doch anfangs, wie gesagt, ist es schwer, sich den Gedankenimpulsen und Aktivierungsversuchen seitens der Amygdala zu verweigern.

Die dritte Phase:

Hüpfe und rufe das Mantra „Hu!“ aus. Das Zentrieren findet vor allem in der dritten und vierten Phase statt. Nach der zweiten, der „Befreiungsphase“, wie ich sie gern nenne, werden wir durch das Hüpfen wieder „zusammengesetzt.“

Das Hüpfen und das Rufen des Mantra weckt das Lebens­zentrum im Unterleib. Der Ton des Mantra soll es behämmern, und die Schwingungen des Hüpfens aktivieren das Zentrum vom Fußboden hoch. Dadurch erden wir uns und nehmen Kontakt mit unserer Körper­stärke auf. Auch hier gilt es wieder das Motto „soweit wie möglich“ zu beachten. Wenn sich das Hüpfen und Rufen als schwer erweist, tu alles, was dir innerhalb deiner Grenzen möglich ist und weite deine Fähigkeit langsam aus.

Alternativ zum Hüpfen kannst du auch bei jedem „Hu!“ eine Vorwärtsbewegung mit dem Becken machen. Aber wenn der Verstand sagt: „Ich kann nicht!“, hör nicht auf ihn, sondern baue deine Kräfte vorsichtig weiter aus, indem du Kontakt mit deiner Lebensenergie aufnimmst und deine Stärke auf den Plan rufst.

Achte darauf, was sich während dieser Phase in deinem Körper abspielt. Achte auf das, was stärker wird und sich ausweitet. Hilfreich ist es, die „Kraft“ zu bemerken, auf diese Art kann sie zunehmen. Wenn sich in dieser Phase also Bewusstheit einstellt und du bemerkst, dass du an Stärke gewinnst, kannst du negative Denkge­wohnheiten und Selbstbilder abschütteln, in denen du dich schwach oder als Opfer siehst.

Die Anweisungen Oshos zur Weckung der Lebensquelle zielen darauf ab, deine Auf­merksamkeit in jene positive Richtung zu lenken, wo du deine Ressourcen hast. Ein wichtiger Schritt zum Loslassen aller ­ste­ckengebliebener Gefühle und zum Zen­trieren ist auch der Wechsel vom Aus­drücken in der zweiten Phase, zur Wahr­nehmung, wie sich deine Lebensenergie bewegt, in der dritten Phase. So wird deine Fähigkeit gestärkt, dich zu sammeln und emotionale Zustände zu beobachten. Auf die Art und Weise lernen wir, unsere Gefühle und Energie im Körper einzubehalten.

Die vierte Phase:

„Stop und Einfrieren!“ Die Anleitung zu dieser Phase mag eine der fordernsten sein, wenn du noch nicht viel Erfahrung mit Meditation hast und sich die Fähigkeit zum Zentrieren noch nicht entwickelt hat. Fünfzehn Minuten Stillstehen, egal in welcher Stellung du bist, das ist in der Tat eine Herausforderung. Das Zentrieren, das von der ersten Phase an eingesetzt hat, geht jetzt sogar noch tiefer. Einfach nur beobachten zu können, was sich im Innern abspielt, ohne seine Impulse auszuagieren, ist eine wichtige Fähigkeit des Gehirns, die Übung erfordert. Das ist etwas, das Kinder ihre ganze Kindheit hindurch entwickeln müssen.

Diese Fähigkeit namens „Impulskontrolle“ wird vom vorderen Gehirnlappen ausgeführt. Bei so genannt „brutalen Verbrechern“, also Menschen, die beim kleinsten Anlass gewalttätig reagieren, ist sie unterentwickelt oder fehlt ganz. Beobachtungen zufolge reagieren Menschen, die in diesem Hirnbereich verletzt worden sind, seither sexuell „schamlos“ auf entsprechende Im­pulse aus dem Instinktbereich des Gehirns. Die Fähigkeit seine Impulse zu kontrollieren, beschreibt Hüther so: „Da befiehlt der vordere Hirnlappen der Amygdala, Ruhe zu bewahren.“

Die Herausforderung besteht darin, „das Beobachten“ zu erlernen … wie Osho es ausdrückt. Allen, die den gefrorenen Zu­stand aus traumatischen Situationen her kennen, kann diese Phase besonders schwerfallen. Der Körper kann das Still­stehen mit Erinnerungen an den Reflex des Gefrierens verbinden und die Körperer­in­nerung an diese Erfahrung noch einmal durchspielen. In solch einem Fall hilft es, sanfte Bewegungen zuzulassen und die Augen zu öffnen, um sich bewusst zu orientieren zu können und so der Situation Herr zu werden. Ankündigen kann sich so eine „Wiederholung“ mit Schwindel und Übelkeit.

Besser gibt man sich die Freiheit zu handeln, als eine traumatische Erinnerung wiederzuerleben. Auf die Art und Weise können wir allmählich neues Vertrauen in unsere Fähigkeit entwickeln, in der Gegenwart zu bleiben und unsere Fähigkeit zu beobachten kann wachsen. Zunehmende Prä­senz und Achtsamkeit führen zu einer verstärkten Gabe sich zu zentrieren. Im den herkömmlichen fernöstlichen Kriegsküns­ten stellt man einen Zusammenhang her zwischen der Fähigkeit, sich zu sammeln und der Stärkung des „Dritten Auges“, welches mitten auf der Stirn liegt, genau zwischen den Augenbrauen.

Das Dritte Auge ist das, was die Neuro­wissenschaft heute den „Vorderen Hirn­lappen“ nennt – das Zentrum der Impuls­kontrolle. Die Dynamische weckt einerseits die Lebensenergie und andererseits das Sammlungspotenzial des vorderen Hirnlap­pens, welches uns die Ruhe verleiht, etwaige Instinktreaktionen der Amygdala zu beobachten, ausgelöst durch alte Erin­ne­rungen, die nichts mit der jetzigen Situa­tion zu tun haben. Zugleich gestattet sie dem Körper, sich festgehaltener Altlasten zu entledigen. Sie ist eine vollständige Reise, und jeder Abschnitt hat seine spezielle Funktion.

Die fünfte Phase:

Das Feiern. „Feiere! Bring durch Tanzen deine Dankbarkeit gegenüber der Schöpfung zum Ausdruck!“, sagt Osho im Orangenen Buch. Wir sind, was wir tun. Wissenschaftler sprechen von der „Neuroplastizität des Gehirns“.

Indem wir etwas tun und es üben, stellen wir Verbindungen zwischen Neuronen her und stärken sie, ja vergrößern sogar die benutzen Hirnbereiche. Mehr und mehr Hirn­zellen beteiligen sich dann an allem, was wir üben und uns wesentlich aneignen.
Hier in dieser Phase üben wir „Feiern“. Feiern ist eine Lebenseinstellung, eine existenzielle Haltung. Die kann man lernen. Die Aufgabe in dieser Phase besteht also darin, sich hellhörig dem jetzigen Augenblick zu widmen – der Musik zu lauschen, die Körperbewegungen zu spüren, der Existenz zu danken und auch sich selber zu danken.

Leuten, die auf therapeutische Art und Weise denken, fällt es oft schwer, in diese Richtung zu schauen. Um so wichtiger ist es, den Kniff rauszukriegen, wie das geht. Egal, in welcher Stimmung man nach den vorangegangenen Phasen sein mag, traurig oder glücklich – alles kann gefeiert und durch Tanzen zum Ausdruck gebracht werden! Du bist deines Glückes Schmied. Osho sagt: „Lass dich von deiner Freude durch den ganzen Tag tragen.“